
Clancey, der schon eine Bar in New York besaß, ließ kurzerhand von dort den Tresen, die wertvollen Mahagoni Wandpaneele, die
Lampen, Bilder und sonstigen Einrichtungsstücke abmontieren, nach Frankreich verschiffen und in der Rue Daunou installieren. Nun brauchte man nur noch einen Namen und die beiden meinten, man könne den Laden mit ruhigem Gewissen NEW YORK BAR nennen, nachdem ohnehin alles darin aus New York stamme.
Sloane kontaktierte einen der besten Bartender jener Zeit, einen Schotten aus Dundee namens Harry MacElhone, und bat ihn, die Rolle des Chef Barmans bei der Eröffnung zu übernehmen, welche am Thanksgiving Day stattfand. Viele Amerikaner, die in der Staft wohnten, kamen, um die erste echte American Bar in Paris zu erleben, und die Leute standen dicht gedrängt mit Gläsern in der Hand bis auf den Gehsteig hinaus.

Tod Sloane und Clancey konnten zufrieden sein: die Bar lief vom ersten Tag an auf Hochtouren. Turfleute, Künstler und amerikanische Touristen erkoren sie zu ihrem Treffpunkt. Da die Oper und einige Theater im allernächsten Umkreis lagen, erschienen bald auch bekann
te Schauspieler nach ihrer Vorstellung, was wiederum Presseleute anzog und für Reklame sorgte.
Der Barchef Harry MacElhone hatte sich inzwischen nach New York abgesetzt, wo er 1912 die Bar des Plaza übernahm. Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs ging Harry nach Europa, um sich freiwillig zum Royal Naval Air Service zu melden und stand erst 1919 wieder hinter einer Bartheke: diesmal im Londoner Ciro´s Club, welcher damals als der eleganteste Nachtclub Europas galt.
Harry arbeitete vier Jahre ohne Urlaub, und als er 1923 ein paar Tage frei bekam, stieg er ins den nächsten Zug zum Festland, um in Paris ein wichtiges Pferderennen mitzuerleben. Vor seiner Rückfahrt schaute er noch rasch bei Tod Sloane und Clancey herein, wo er ja 1911 ein paar Monate gearbeitet hatte, um ihnen guten Tag zu sagen.
Sloane und Clancey hatten in den zwölf Jahren, seit denen jetzt die Bar bestand, eine Menge Geld verdient und trugen sich mit dem Gedanken zu verkaufen. Sie waren es leid, Nacht für Nacht um fünf Uhr früh ins Bett zu kommen und wollten sich an der Cote d´Azur zur Ruhe setzen. Als nun zufällig Harry MacElhone bei ihnen auftauchte, wurde ihnen klar, daß er der einzige Mann war, der diese amerikanische Bar erfolgreich weiterführen konnte. Also boten sie ihm ihr Lokal zum Kauf an.
Doch der Schotte schüttelte nur den Kopf. Nie im Leben könne er den Kaufpreis für ein Lokal wie dieses aufbringen. Sloane und Clancey meinten, er brauche kein Geld. Er solle sich nur hinter den Tresen stellen und die Sache in die Hand nehmen. Man müßte sich halt auf einen Kaufpreis einigen und Harry sollte ihnen die Summe im Laufe der Jahre abzahlen. Das Lokal werfe genügend ab, damit er nebenher noch anständig leben könne.

So kam es, daß der Schotte Harry MacElhone von einem Tag auf den anderen alleiniger Inhaber einer gutgehenden Bar in Paris wurde. Er fand, daß er dies zum Ausdruck bringen müsse und nannte sein Lokal von nun an HARRY´S NEW YORK BAR.
Harry war klein von Gestalt. Aber wenn er, die Zigarre im Mund, im dunklen Nadelstreifenanzug seine Gäste begrüßte, kamen sein Charme, sein Witz und seine Herzlichkeit zutage und schlugen jeden in Bann. Alles, was in den beschwingten Twenties Rang und Namen hatte, stellte sich ein. Der junge Scott Fitzgerald kritzelte seine literarischen Einfälle auf Harry´s Papierservietten, George Gershwin hämmerte auf dem alten Flügel im Untergeschoß herum, um Teile von AN AMERICAN IN PARIS zusammenzufügen, Hemingway löschte nach jeder Boxlektion im Montmartre Sportstudio seinen Durst bei Harry; der Prince of Wales fühlte sich nirgends wohler, Carpentier, Jack Dempsey, Roman Novaro und Captain Noville saßen auf eigens für sie gekennzeichneten Barhockern und manches klassische Getränk wurde hier erfunden: Bloody Mary, Side Car, White Lady. Ja, sogar das erste Hot Dog Frankreichs kam aus Harry´s Dampfwärmer.
Als 1940 die deutschen Panzer auf Paris zurollten, brach Harry über Bordeaux nach London auf, um dort die Bar des Café de Paris zu übernehmen. Und zwar so lange, bis diese von einer Bombe getroffen in die Luft flog, wobei der unverwüstliche kleine Schotte wie durch ein Wunder unverletzt blieb.
Nach dem zweiten Weltkrieg ging es in der Rue Daunou fast noch toller zu als zuvor. Und wieder sah man Harry mit seiner Zigarre im Mund illustre Gäste begrüßen. Nur andere als früher: Rita Hayworth, Humphry Bogart, Ali Khan, Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir , Jacques Prevert, Jeanne Moreau, Coco Chanel, Thornton Wilder, Marlene Dietrich, Gene Kelly, Glenn Ford und zahlreiche weitere. Harry MacElhone´s unglaubliche Beliebtheit wurde wohl am eindrucksvollsten durch den ergreifenden Leitartikel der NEW YORK HARALD TRIBUNE dokumentiert, der zu seinem Tod im Juni 1958 erschien.
© by Simon Schott (Barpianist im Vier Jahreszeiten Hotel Kempinski in München)
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